Der Sage nach ergriff ein Bote nach der siegreichen Schlacht von Murten von 1476 einen Lindenzweig und rannte mit diesem als Siegeszeichen nach Freiburg, wo der Läufer tot umfiel. Den Lindenzweig steckte man darauf in die Erde und es entstand die Murtenlinde. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Baum, an dem eine wichtige Autostrasse vorbeiführte, in einem besorgniserregenden Zustand, weshalb der Biologe Alois Huber Zweige abschnitt und so neue Bäumchen heranzog. 1983 gab ein betrunkener Autofahrer der alten Linde den Todesstoss.
Die jungen Murtenlinden
Die kleinen Bäumchen wurden im Botanischen Garten von Freiburg gross gezogen. Gepflegt wurden diese vom aus Niederwil/AG gebürtigen Obergärtner Jakob Gauch (1918-2017). Im Aargau stehen drei junge Murtenlinden: in Mellingen, beim Schloss Brestenberg und in Böbikon. Wegen den freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Gewerbevereinen von Murten und Mellingen kam unsere Gemeinde zu einem derart geschichtsträchtigen Baum. Dieser steht neben dem Iberg, dem Stammsitz der Segesser. Aus dieser Familie nahmen zwei Offiziere an den Burgunderkriegen teil.
Sport- und Freizeit
Mellingen liegt an einer der schönsten Flussrouten der Schweiz, auf der mit Gummi- und Paddelbooten das Tal hinunter gefahren werden kann. Ein in die Reuss herausragender mit Steinblöcken befestigter Geländesporn im Bereich der Ibergwiese erleichtert das Landen insbesondere von Gummischlauchbooten. Die hübsche Wiese und der in der Nähe gelegene Parkplatz sind daher bei Wassersportlern für das Auswassern und Aufladen der Boote sehr beliebt.
Freddy Air Röthlisberger
Der in verschiedensten Berufen als Koch, Konstrukteur, Seilbahnstatiker, Bergbauer und Flugzeugbauer tätige Röthlisberger wurde 1937 in Kerzers geboren. Besondere Bedeutung erlangte dieser als Bronzebildner. Von 2002 bis 2009 betrieb er sein Atelier in Mellingen, um dann nach Zürich umzusiedeln. Neben den beiden Werken auf der Ibergwiese befinden sich noch zahlreiche Plastiken im Besitz des Ortsmuseums Mellingen, beispielsweise die Figur des untenstehenden „Chregu“.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Postkarte Freiburg: unbekannt
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Hochmittelalterlicher Bau?
Möglicherweise stand anstelle des Iberghofs bereits im Hochmittelalter ein Gebäude. 1178 bestätigte Papst Alexander III. in einer Urkunde, das Stift Schänis im Gasterland besitze in Mellingen eine Kirche, eine Schifflände und ein weiteres Gebäude. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass damit der Vorgängerbau des Iberghofs gemeint sein könnte. Denn hier fliesst die Reuss relativ langsam. Deshalb wäre im Bereich dieses Gebäudes der Betrieb einer Schifflände geeignet gewesen.
Sitz der Herren von Iberg und der Familie Segesser
Der Iberghof verdankt seinen Namen der im Dienste der Grafen von Kyburg stehenden Familie von Iberg. Ihren Hauptsitz hatte dieses Geschlecht in Inwil/LU. Um 1300 ging der Iberghof an die Segesser über, die wichtigste Familie der Stadt in den nächsten drei Jahrhunderten. Neun Vertreter dieses Geschlechts standen bis 1590 als Schultheissen der Stadt vor. Darauf wanderten die Segesser nach Luzern und in den Thurgau aus. Von 1731 bis 1779 war der Iberghof erneut im Besitz der Segesser. Danach ging dieser an die Stadt über.
1602 kaufte das Deutschordensritterhaus von Beuggen den Iberghof. Im Dreissigjährigen Krieg (1620 bis 1650), als Beuggen von den Schweden bedroht wurde, verlegte der Vorsteher des Ritterhauses eine Zeitlang den Sitz nach Mellingen.
Zur Baugeschichte
Aufgrund des Alters von Bauhölzern kann der Kernbau des Iberghofs in die Jahre 1378/79 datiert werden. Seine heutige Form erhielt das Gebäude grösstenteils 1578: Erweiterung gegen Südosten und gegen die Reuss hin. In der Reussfront sind sogenannte Kreuzstockfenster eingelassen. Solche Fenster werden durch ein Steinkreuz in vier Teile gegliedert. Aus dieser Zeit stammt auch der Rundturm mit Wendeltreppe und Eingangsportal. Der steinerne Türrahmen kann aufgrund des Steinmetzzeichens den einheimischen Steinmetzten Jakob oder Peter Beye zugewiesen werden.
2000 wurde der Iberghof einer umfassenden Renovation unterzogen. Aus dieser Zeit stammt auch der äusserlich angebrachte verglaste Treppenaufgang für den Kinderhort.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Im Gegensatz zu Dörfern waren die Städte durch eine Mauer abgeschirmt. Diese bot vermehrt Schutz vor Diebstählen und bei kriegerischen Ereignissen. Die gegen den Graben hin im Erdgeschoss der Häuser integrierten Stadtmauern sind teilweise noch heute erhalten und bis 1.5 Meter dick. Gut sichtbar ist dies bei den Aussenmauern des Restaurants "Weisses Kreuz" neben dem Gebäude Hauptgasse 17 sowie des Ortsmuseums an der Scheunengasse 7. Die freistehende Stadtmauer zwischen dem Hexenturm und dem nach 1712 abgebrochenen Rundturm an der Reuss wurde im 19. Jahrhundert samt Bruggertor beseitigt, ebenso die Mauer sowie das kleine Tor zwischen Iberghof und der äusseren Häuserzeile der Kleinen Kirchgasse. Aufgrund des Merianstichs von 1642 muss zudem angenommen werden, dass sich die Stadtmauer nach dem Kirchturm nach Nordwesten fortsetzte und bis zum ersten Haus der reussseitigen Häuserzeile der Grossen Kirchgasse reichte. Darin integriert waren die Beinhauskapelle und ein Tor, das zum Fluss führte.
Grabdenkmäler
An der Stadtmauer sind seit 1972 einige Grabdenkmäler aus dem 17. und 18. Jahrhundert angebracht. Diese Epitaphien von Personen aus der Mellinger Oberschicht stammen vom Friedhof rund um die Kirche, der 1811 aufgehoben wurde. Seither bestattete man alle Bewohner auf dem 1736 angelegten Friedhof bei der Antoniuskapelle. Diese Grabdenkmäler bildeten in umgestürzter Form bis 1972 die Umfassungsmauer des Kirchhofs. Da mehrere Steine stark verwittert sind, können eine Anzahl nicht mehr einer bestimmten Person oder Familie zugeordnet werden. Drei weitere Grabsteine sind an der südwestlichen Innenwand im Erdgeschoss des Kirchturms angebracht, eine weitere Grabplatte befindet sich im Friedhofgebäude.
Von den neun an der Stadtmauer befestigten Grabdenkmälern können folgende einer bestimmten Person oder Familie zugewiesen werden:
Grabplatten vom Kirchturm gegen den Iberg hin von 1 bis 9:
1) Arbogast Müller (1642-1690), Schultheiss, seine Gattinnen Elisabeth Honegger (1644-1669) und
Catharina Keller (+1711)
2 und 4) Familie Frey (Wappen mit Einhorn)
6) Johann Kaspar Müller (1676-1729), Vorsteher des Grossen Rates, Hauptmann in Frankreich
7) Familie Müller (Wappen mit Mühlenrad)
8) Heinrich Trub (+1601), Pfarrer von Mellingen von 1580 bis 1589
9) Maria Ursula von Berenlingen (+ 30. Juli 1632), unbekannte Adelige, möglicherweise Flüchtling
im Dreissigjährigen Krieg
Armeleutehaus
An der reussseitigen Stadtmauer war das Armleutehaus angebaut. Darin fanden früher laut den Angaben von Otto Müller unbemittelte Einwohner Unterschlupf. Dieses Gebäude wurde 1976 im Rahmen der Sanierung der Stadtmauer abgerissen.
Der Ibergplatz
Dieser stimmungsvolle Platz breitet sich zwischen der Umfassungsmauer der Pfarrkirche und dem Iberghof aus. Auf der linken Seite befand sich bis 1811 der Friedhof, der rechte Teil bildete das Umgelände des Iberghofs. Seit dem Mittelalter war der Iberghof durch eine Mauer von der übrigen Altstadt abgetrennt, wie dies deutlich auf dem Holzschnitt von Johannes Stumpf von 1548 zu sehen ist.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Richard Bopp wirkte von 1916 bis 1956 als Pfarrer von Mellingen. Wenn auch ein Seelsorger mit Ecken und Kanten, trug er aber in kultureller und sozialer Hinsicht Wesentliches zum Vorteil der Gemeinde Mellingen bei. Sein bedeutendstes Werk war der Bau des Vereinshauses, das die Kirchgemeinde finanziell nicht belastete. Kaum in Mellingen im Amt, inszenierte er im Kronensaal erste Theaterstücke. Der Erlös aus diesen Veranstaltungen wurde zur Finanzierung des Vereinshauses herangezogen. Aber auch die Einnahmen als Wallfahrtsleiter und als Kurpfarrer in Bad Ragaz flossen zum Teil in den Umbau und den Betrieb des Vereinshauses, welches zum Treffpunkt verschiedener Vereine und Theaterliebhaber wurde. Auf seine Initiative hin wurden beispielsweise der Arbeiter- und Arbeiterinnenverein und der Jünglingsverein gegründet. Bereits ab 1923 konnten im Vereinshaus Filme angesehen werden. Und als in den zwanziger Jahren das Radio aufkam, schaffte der Pfarrer die nötigen Apparaturen mit 12 Kopfhörern an, eine Attraktion für die damalige Jugend. Den Anstoss zur Gründung des Kindergartens im Vereinshaus gab ebenfalls Richard Bopp. Dieser war in gewissem Sinn auch der Gründer der Spitex Mellingen. Er veranlasste, dass im Altersheim, das von zwei Ingenbohler Schwestern geführt wurde, eine dritte Mitschwester hinzukam, welche sich hauptsächlich um die Kranken in der Gemeinde kümmerte.
Kindergärtnerin Anna Meier (1906-1986)
Anna Meier – im Volksmund „d’Tante“ genannt - übernahm nach ihrer Ausbildung zur Kindergärtnerin in Ingenbohl 1925 die Leitung des Kindergartens im Vereinshaus. Oft betreute sie hingebungsvoll bis zu 60 Kinder. Während 45 Jahren gingen fast zwei Generationen junger Mellingerinnen und Mellinger zu ihr in die Schule – die letzten zwei Jahre im neuen Kindergartengebäude Weihermatt.
Kindergarten im Vereinshaus
Der Kindergarten stand viele Jahre unter der Trägerschaft des kath. Müttervereins. Die Kinder brachten einen Wochenbeitrag von 50 Rp., zwei von der gleichen Familie 80 Rp. und drei Kinder Fr. 1.20. 1945 wurde ein kantonales Kindergartenreglement in Kraft gesetzt. Aufgrund dieser Verfügung richtete nun der Kanton auch Beiträge an die Besoldung der Kindergärtnerinnen aus.
1946 wurde der Jahreslohn von Fräulein Meier auf 2`500 Franken erhöht. Dieser Betrag wurde wie folgt aufgeteilt: Gemeinde Fr. 1`000.- / Kanton Fr. 1`000.- / Kindergartenkommission Fr. 500.- Damals wurde der Kindergarten von der politischen Gemeinde übernommen.
Diese musste Jahr für Jahr beträchtliche Summen in die Lokalitäten im Vereinshaus investieren, um den Anforderungen der staatlichen Kindergarteninspektorin einigermassen nachzukommen.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Der gotische Kirchturm mit Käsbissendach könnte zur Zeit der Stadtgründung - gewissermassen als Wehrturm gegen Südosten - erbaut worden sein, vielleicht aber auch erst im 14. Jahrhundert. Gegen Nordwesten zwischen Dachtraufe und Mauerwerk die Jahreszahl 1523, die älteste an einem Gebäude in Mellingen angebrachte Jahresangabe.
Durch die blechbeschlagene barocke Türe, die einst als Eingangsportal in die Sakristei diente, gelangt man in das Turminnere. Hier findet sich noch der ehemalige Chor der gotischen Kirche. 1973 wurde dieser Raum in eine Taufkapelle umgestaltet und eine Holzdecke eingezogen. Deshalb ist heute das Kreuzgratgewölbe nicht mehr sichtbar. An der nordwestlichen Wand ein spätgotisch-renaissancehaftes Sakramentshäuschen mit der Jahreszahl 1583 und dem Steinmetzzeichen der Mellinger Bildhauer Jakob oder Peter Beye. Im Nordosten und Südwesten zwei erneuerte gotische Fenster. In der Mitte Taufstein von Othmar Ernst, 1973. 1960/61 wurden Kirchturm und Kirche einer Aussenrenovation unterzogen, ebenfalls im Jahre 2002.
Grabtafeln
Analog zu den Grabtafeln an der Stadtmauer, die bis ins 19. Jahrhundert auf dem Friedhof rund um die Kirche standen und danach bis 1970 in umgekippter Form die Einfassungsmauer des Kirchhofs bildeten, sind deren drei an der südwestlichen Wand im Innern des Turmes befestigt. Ganz rechts die Grabtafel von Johann Wilhelm Probstatt (1626-1713) und seiner Gattin Maria Elisabeth Rüppel (+1710): Johann Wilhelm Probstatt war Salzfaktor der Stadt Luzern in Mellingen. Luzern betrieb in Mellingen von 1641 bis ca. 1800 eine Salzfaktorei, ein Salzhandelshaus. Dieses stand an der Stelle, wo sich heute das kath. Pfarrhaus befindet. Von hier aus wurde vor allem das Freiamt mit Salz beliefert. Ein Teil des Salzes wurde aber auf dem Land- oder Wasserweg ins Salzhaus nach Luzern befördert. Probstatt war Bürger von Luzern. Als dieser Mellingen eine Pension der spanischen Krone im Betrag von jährlich 300 Gulden vermittelte, schenkte die Stadt Johann Wilhelm Probstatt 1678 das Mellinger Bürgerrecht, und dieser erhielt sogar einen Sitz im Stadtrat. Als Salzfaktor amtete er von 1672 bis 1713, wobei er in seinen letzten Jahren von dessen Sohn Arbogast Probstatt (1671-1750) vertreten wurde.
Gemälde aus dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts
Die kostbarste Innenausstattung des Turmchors sind die Wandgemälde, die aufgrund von Stilelementen und dem Vergleich zu anderen Malereien in Süddeutschland und der Schweiz von Kunsthistoriker Peter Hoegger ins letzte Drittel des 14. Jahrhunderts datiert wurden. Vorgängig löste man eine schlecht erhaltene Barock- sowie eine Renaissance-Malschicht ab und restaurierte die darunter zutage getretenen spätgotischen Malereien, gewissermassen Bildgeschichten für das gläubige Volk. Allerdings sind zahlreiche Malereien nur fragmentarisch erhalten.
Die vier Episoden beruhen auf einer Geschichte im neuen Testament (Markus 6, 14-29): Johannes der Täufer behauptete, Herodes habe seine Frau verstossen und die Frau seines Bruders geheiratet. Wutentbrannt liess Herodes Johannes ins Gefängnis stecken. Als Herodes wieder einmal sein Geburtstagsfest beging, tanzte an dieser Feier seine Stieftochter Salome auf kunstvolle Weise. Dies gefiel Herodes so sehr, dass er versprach, ihr irgendeinen Wunsch zu erfüllen. Salome verlangte auf einem Teller das Haupt des Johannes zu sehen. Deshalb wurde dieser hingerichtet und Salome sein Haupt auf einem Teller präsentiert.
Das Ölmartyrium von Johannes dem Evangelisten: Dieser soll von Kaiser Domitian (81-96) in siedendes Öl gesteckt worden sein, nahm aber keinen Schaden. Darauf wurde er auf die Insel Patmos verbannt, wo er die „Geheime Offenbarung“ schrieb. Schliesslich kehrte Johannes wieder nach Ephesus zurück und starb 101 als einziger Apostel eines natürlichen Todes.
In diesen drei Abbildungen (© Denkmalpflege Aargau) präsentiert sich ein «johanneisches» Programm, Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten. Diese Bilder haben für die Kirche eine besondere Bedeutung: Johannes der Evangelist war im Mittelalter der Patron der Kirche Mellingens. Später waren sowohl Johannes der Evangelist und der Täufer gemeinsam Patrone. Heute ist es nur noch Johannes der Täufer.
Die Kirchenglocken
Vom 1637 und 1641 gegossenen Geläut ist nur noch die Sebastians- oder Pestglocke erhalten geblieben. Sie steht neben dem Turm und trägt auf Deutsch übersetzt folgende Umschrift: „Heiliger Sebastian bewahre, wir bitten Dich, die Deinigen von der Pest, [gegossen] im Jahre des Herrn 1641.“ Diese Glocke wurde wohl im Angedenken an das furchtbare Pestjahr von 1629 gegossen, als fast die Hälfte der Bevölkerung dieser Seuche zum Opfer fiel. An der Turmwand sind zusätzlich noch zwei Klöppel der alten Glocken befestigt. Das alte Geläute hatte ein Gewicht von 3666 Kilogramm. 1959 wurde in der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau ein neues, wesentlich schwereres Geläute gegossen.
Allein die grösste der Dreifaltigkeit geweihte Glocke wiegt mit 4150 Kilogramm mehr als alle sechs Vorgängerinnen zusammen.
Das heutige Geläute besteht aus der Schutzengelglocke (620 kg, Ton gis), der Hilariaglocke (900 kg, Ton fis), der Johannesglocke (1200 kg, Ton E), der Marienglocke (2100 kg, Ton cis) und der Dreifaltigkeitsglocke (Ton A).
Durch die vier grossen Schallfenster der Glockenstube können sich die Klänge des mächtigen Geläuts – übrigens eines der grösseren im Kanton Aargau – in alle Himmelsrichtungen verbreiten.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann, Kantonale Denkmalpflege
Bildauswahl Madlen Zimmermann
1045 erstmalige urkundliche Erwähnung der Kirche als Besitz des Frauenstifts Schänis/SG, wahrscheinlich noch in romanischem Stil erbaut. Obwohl bei der umfangreichen Restauration 1970/72 alte Mauern und Gebeine zum Vorschein kamen, unterliess man es leider aus Zeitgründen, diese Funde wissenschaftlich auszuwerten. Die 1675 abgerissene gotische Kirche war von Südwesten nach Nordosten gerichtet. Deren Chor ist noch heute im Kirchturm erhalten. Da die Eingangsfront bis gegen die Kleine Kirchgasse reichte, sind die dortigen Wohnhäuser bis heute zurückversetzt. Zwischen 1629 und 1635 nahm man umfangreiche Umbauten vor. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten in die Kirchenfenster eingelassenen Glasgemälde. Diese Kabinettscheiben übernahm man 1675 in die frühbarocke Kirche.
Die frühbarocke Kirche
Typisch für diese Stilepoche ist der durch einen Rundbogen abgetrennte um wenige Stufen erhöhte Chor, der wesentlich weniger breit ist als das Kirchenschiff. Das Chorgewölbe läuft in spitzen, scharfkantigen Stichkappen nach oben und gemahnt noch an die Spätgotik. Altäre und Kanzel wurden hauptsächlich von den einheimischen Kunsthandwerkern Johann Adam Widerkehr (1651-1712) und seinem Bruder Johann Georg Widerkehr (1647-1724) geschaffen: von ersterem die Altaraufbauten und die Figuren, von Johann Georg die Gemälde. Die damalige Ausstattung glich bis 1830 den Haupt- und Nebenaltären der 1690 erbauten Kirche in Niederwil/AG, wo die Altargemälde mit Sicherheit Johann Georg Wiederkehr und die Altaraufbauten samt einzelnen Figuren vermutlich Johann Adam Widerkehr zugewiesen werden können.
Auf dem Dach über dem Chor sitzt ein zwiebelförmiges Türmchen. In diesem hängt eine Glocke, die 1797 von Jakob Philipp Brandenberg in Zug gegossen wurde.
Die klassizistische Umgestaltung
1829/30 wurde die frühbarocke Innenausstattung entfernt. Altäre und Kanzel in klassizistischem Stil sind Werke der Gebrüder Huttle von Baden. Das hölzerne schwarz-rot marmorierte Retabel (Altaraufbau) des Hochaltars wird beidseitig von korinthischen Säulenpaaren begleitet. Die rot-grau-weiss marmorierten Aufbauten der Nebenaltäre werden ebenfalls von zwei Säulen in gleicher Manier geschmückt und enden oben wie antike Tempel mit Dreieckgiebeln. Auf dem Schalldeckel der Kanzel steht eine Figur des guten Hirten. Diese klassizistische Gestaltung von Altären und Kanzel ist bis heute erhalten geblieben. Von der frühbarocken Ausstattung zeugen auf dem Hochaltar einzig die künstlerisch wertvollen Figuren von Johannes dem Täufer (links) und Johannes dem Evangelisten (rechts), Hauptwerke von Johann Adam Widerkehr. Aus der Zeit des frühbarocken Kirchenbaus stammen zudem die Wangen des zehnplätzigen Chorgestühls, ferner das prächtig geschnitzte Hauptportal, eines der besten Ornamentstücke des Knorpel- und Ohrmuschelstils der Schweiz. Bemerkenswert ist auch das Türgericht mit Dreieckgiebel, dem Baujahr 1675 und dem Doppelwappen der Stadt sowie dem Reichswappen. Vermutlich schuf dieses Portal ebenfalls Johann Adam Widerkehr.
Umgestaltung in neubarockem Stil
1911/12 erfuhr das Innere der Kirche eine Umgestaltung in neubarockem Stil: insbesondere Einzug eines tief herunterreichenden Tonnengewölbes sowie reiche Stuckaturen im Kirchenschiff und im Chor. 1919 malte Georg Troxler von Luzern an die Decke des Kirchenschiffs ein monumentales Bild: die Taufe von Jesus durch Johannes im Jordan. 1911/12 wurde auch die Aussenfront gegen den Kirchplatz hin neu gestaltet. So wurde die Uhr und das darüberstehende Kreuz auf der Höhe des Giebels platziert. Die Mauer im Bereich des Giebels wurde durch ein waagrechtes und zwei senkrechte heller gefärbte Bänder in drei Felder unterteilt. Zudem wurden die Eckquader neu bemalt. Auf diese Weise erhielt die sonst schmucklose Front eine etwas lebendige Struktur. Die oben erwähnten Bänder und Eckquader sind heute im Gegensatz zur weiss bemalten Fassade dunkel eingefärbt.
Die Restauration von 1970/72: heutiger Zustand der Kirche
Mit Ausnahme der Kirchenfront und des stuckierten Wappens von Propst Franz Segesser von Luzern über dem barocken Sakristeiportal wurden alle Veränderungen im Kircheninnern von 1911/12 rückgängig gemacht und zum grössten Teil der Zustand von 1830, als die Kirche mit klassizistischen Altären und Kanzel ausgestatten worden war, wieder hergestellt. Allerdings erhielt die Kirche zahlreiche neue Gemälde und auch zwei Heiligenfiguren. Den Hochaltar ziert seither das qualitätsvolle Kreuzigungsbild, das 1831 der Zuger Kirchenmaler Kaspar Moos schuf (vorher auf dem rechten Nebenaltar). Auf dem Oberblatt der jugendliche Johannes der Täufer, ein Gemälde aus dem frühen 19. Jahrhundert (im Kunsthandel erworben). Links und rechts des Hochaltars zieren die Kredenztischchen etwa meterhohe Holzstatuen: links der Hl. Benedikt ( Anfang 17. Jh.), rechts der Hl. Nepomuk (Anfang 18. Jh.), Plastiken, die bis 1972 in der Antoniuskapelle standen. Ebenfalls aus dem Kunsthandel stammen die beiden Gemälde auf den Nebenaltären, links die Vermählung Marias, rechts Maria mit den Apostelfürsten Petrus und Paulus, Werke aus der Zeit um 1600/20 im Stile der Renaissance. Auf dem rechten Nebenaltar wurde der Sarg mit den in kostbare Gewänder gehüllten Überresten der Katakombenheiligen Hilaria entfernt und die Gebeine in den Altar eingemauert. Die 1912 angefertigten Kreuzwegbilder, Werke des aus Stetten gebürtigen Josef Fischer, wurden bei der Restaurierung entfernt. und durch 14 Bilder ersetzt, gemalt nach spätbarocker Vorlage um 1800/20. Neben dem Haupteingang die Statuette des Hl. Antonius in frühbarockem Stil, um 1680/90, eine Figur, die schon vor 1970 hier platziert war. Anlässlich der umfassenden Restauration von 1970/72 wurde als Pendant zu den Altären eine Empore mit geschweiftem Geländer und zierlich gestaltetem Orgelprospekt geschaffen. Gleichzeitig wurde eine qualitätsvolle Orgel von Metzler in Dietikon installiert.
Kabinettscheiben
Einzigartig im Aargau ist der Kabinettscheibenzyklus von 15 Glasgemälden in einer Pfarrkirche. Die meisten der wertvollen Gemälde aus dem 17. Jahrhundert wurden aus der gotischen Kirche übernommen. Die Abbildung und Beschreibung der Scheiben beginnt zuhinterst im Kirchenschiff links, fährt auf der linken Seite bis zu den Fenstern im Chor fort und führt dann vom vordersten Fenster im Kirchenschiff rechts bis zum letzten Fenster auf dieser Seite. Die Beschreibung der Scheiben stammt grösstenteils von Rolf Hasler.
Text: Rolf Hasler,/ Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann , Denkmalpflege Aargau
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Schulhaus, heute Haus Kleine Kirchgasse Nr. 26
Vermutlich stand das Schulhaus schon im Mittelalter am Kirchplatz. Nach dem grossen Stadtbrand von 1505 wird vermerkt, dass die „Schuol“ vollständig abgebrannt und wieder aufgebaut worden sei.
Auch in einem Gebäudeverzeichnis von 1663 wird das Schulhaus an dieser Stelle erwähnt. Bereits 1262 ist in Mellingen laut einer Urkunde des Klosters Wettingen ein Schulmeister, ein „rector puerorum“, d.h. ein Schulleiter der Knaben bezeugt. Es ist dies die erste urkundliche Erwähnung eines öffentlich-rechtlich angestellten Schulmeisters auf dem Gebiet des heutigen Aargaus. Bis ca. 1600 war der Stadtschreiber zugleich auch Schulmeister. Erstaunlich ist, dass am Ende des Mittelalters, im Zeitraum zwischen 1459 bis 1504, sich ein Dutzend Mellinger Bürger an den Hochschulen von Basel, Heidelberg und Köln sowie an der Sorbonne in Paris nachweisen lassen. Da die Schulzimmer und insbesondere die Aborte aus hygienischen Gründen den Anforderungen nicht mehr genügten, wurde der Schulbetrieb ins gegenüberliegende 1856 erbaute neue Rathaus verlegt. Doch bereits 1897 war auch hier der Platz zu eng geworden, sodass an der Bahnhofstrasse ein grosszügiges Schulgebäude errichtet wurde und man erst 1967 nebenan ein weiteres Schulhaus beziehen musste.
Schlachthaus
Hinter dem Kirchplatzbrunnen stand bis ca. 1900 das Schlachthaus, in den Dokumenten meist „Metzg“ genannt. In früheren Jahrhunderten versorgten normalerweise zwei Metzger die Bevölkerung mit Fleisch. Die „Metzg“ gehörte der Gemeinde und wurde an die Metzger verliehen. In verschiedenen Erlassen reglementierten die Stadtbehörden, wie viele Tiere die Metzger in einer gewissen Zeit schlachten durften. Über die Qualität, den Preis und die Genauigkeit der Waage wachten die städtischen Fleischschätzer. Verkauft wurde das Fleisch auf der sogenannten Fleischbank (Position unbekannt).
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestanden Pläne, in den nicht mehr genutzten Räumen ein Gemeindeschulhaus mit Turnhalle einzurichten. Doch wurde dieses Vorhaben wieder fallengelassen und 1897 das Schulhaus an der Bahnhofstrasse gebaut. Um 1900 wurde die „Metzg“ abgerissen und an deren Stelle die Häuser Grosse Kirchgasse 10 und 12 errichtet.
Der Kirchplatzbrunnen
Der schon auf dem Holzschnitt von Johannes Stumpf sichtbare Brunnen war der zweite Wasserspender an der städtischen Wasserleitung. Den rechteckigen Trog aus Granitstein schuf 1859 vermutlich Steinmetz Pedruzzi. 1991 wurde der Brunnen stark umgestaltet und anstelle des ausserhalb des Trogs stehenden Stocks ein Sockel im Innern errichtet. Diesen ziert eine Bronzeplastik des Wettinger Künstlers Eduard Spörri (1901-1995). Sie stellt ein sich innig umschlingendes Liebespaar dar. Mellingen schenkte sich diese hübsche Figurengruppe zur 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Um 1840 zog das Spital aus dem baufälligen Gebäude aus. Der Kronenwirt, dessen Gastwirtschaft an der Stelle des heutigen Pfarrhauses stand, kaufte das Spitalgebäude. Doch geriet die „Krone“ in den 1850er-Jahren in Konkurs. Darauf erwarb die Gemeinde die beiden Liegenschaften und baute 1855/56 darauf das Rat-, Schul- und Pfarrhaus. Der Umbau des Pfarrhauses im Jahre 1956 mit deutlich zurückgesetzter Fassade und in wesentlich geringeren Ausmassen beeinträchtigte städtebaulich den imposanten in gleichem Stil erbauten Gebäudekomplex. Im Scheitel des Reusstörli das heutige Löwenwappen, über dem Rathauseingang das bis 1934 gültige Kugelwappen.
Das Rathausglöcklein
Auf dem nordwestlichen Dachfirst hängt in einem unscheinbaren Türmchen die Rathausglocke, die vermutlich aus dem 1850 abgerissenen Beinhaus zwischen Kirchturm und derzeitigem Pfarrhaus stammt. Das Beinhaus war eine Kapelle, in der die Gebeine und Schädel alter Gräber aufbewahrt wurden. Auf der Glocke sind Maria und Josef mit Kind abgebildet. Dieser Klangkörper wurde 1602 gegossen und dürfte die älteste Glocke in Mellingen sein. Diese wird wohl ab 1856 als Schulglocke gedient haben. Belegt ist, dass die Glocke in früherer Zeit, wenn die Resultate der Gemeinderatswahlen bekannt waren, geläutet wurde. Heute erklingt die Rathausglocke anlässlich der Antiquitätenmärkte im Frühling und Herbst.
Das Spital
An der Stelle des Rathauses stand bis 1840 das Spital. Gegründet wurde dieses 1313 vom ehemaligen Schultheissen Hugo von Schänis und seiner Gattin Heilwig. Darin fanden Arme, Gebrechliche und Waisen Unterschlupf. Aber auch begüterte Bürger konnten bei Bezahlung einer Geldsumme oder beim Überlassen eines Landstücks ihre alten Tage im Spital verbringen. Nach 1840 siedelte das Spital für kurze Zeit ins Haus Hauptgasse 17 um, um dann 1856 den Iberghof zu beziehen. Auf dem Ausschnitt aus Johannes Stumpfs Abbildung von 1548 handelt es sich beim zweiten rechts der Kirche stehenden Haus mit Treppengiebeln um das Spital.
Glasgemälde von Walter Jonas (1910-1979)
Der Mellinger Bürger war ein international bekannter Maler, Grafiker und Publizist. Er wirkte in Berlin, Paris und Zürich. Ausstellungen u.a. im Louvre in Paris, Venedig, São Paulo, Düsseldorf und Zürich. Das von den Mellinger Ortsbürgern gestiftete Glasgemälde hängt im südwestlichsten Raum im ersten Obergeschoss des Rathauses. Dieses stellt die Einnahme Mellingens durch die Eidgenossen im Jahre 1415 dar.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
In diesem aussergewöhnlich stattlichen Gebäude mit Krüppelwalmdach waren wohl auch die Pferde des Spitalknechts untergebracht. Dieser hatte die Naturalzinsen, welche das Spital beanspruchte, in Mellingen und Umgebung abzuholen und diese zur Spittelscheune zu führen. Der Zugang zu dieser Scheune erfolgte über das heute noch bestehende Reusstörli, das schon zur Zeit des Spitals existierte. Im Obergeschoss war damals gegen die Reuss hin noch eine Laube angebracht. Links der Scheune das schmale Holzgebäude an der Stadtmauer, welches die Pontoniere 1922 als Materialdepot bauten. Noch weiter links das sogenannte Armenhaus. Als 1976 die Gemeinde die Stadtmauer gegen die Reuss hin freilegen liess, mussten die beiden Gebäude weichen. Die Räume in der Spittelscheune wurden den Pontonieren überlassen.
Die Renovation von 1995: Die wesentlich nach 1600 angebaute Laube wurde entfernt, damit das Riegelwerk im Obergeschoss besser zur Geltung kam. Seither bildet die Spittelscheune zusammen mit dem Kirchturm ein hübsches Ensemble. Auf dem Foto von 2017, muss man leider feststellen, dass der Verputz teilweise schon wieder abbröckelt.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Der Bader hiess auch Bruchschneider, weil er Leistenbrüche behandelte. Zeitweise war der Badstube auch eine Färberei angegliedert. 2008 restaurierte man den Bau vollständig. Leider verputzte man das damals an der Aussenwand freigelegte Riegelwerk des Obergeschosses wieder vollständig, obwohl diese Bauweise bereits auf dem Holzschnitt von Johannes Stumpf eindeutig nachgewiesen ist. Im Erdgeschoss stellten die Archäologen eine Stelle fest, wo die Steine des Mauerwerks bis tief ins Innere geschwärzt waren. Möglichweise stand hier das offene Feuer, über welchem der Bader das Badewasser erwärmte. Auch zahlreiche Balken und Wände waren bis in diesem Jahrhundert durch den Rauch des Feuers stark geschwärzt. Nicht umsonst nannte man dieses Gebäude bis ins 20. Jahrhundert das „Schwarze Hus“. Erfreulicherweise sind die brandgeschwärzten Originalbalken in gewissen Räumen noch heute sichtbar.
Auf dem Holzschnitt aus der Stumpfchronik von 1548 ist das freistehende Badhaus eindeutig erkennbar. Links davon hinter dem Kirchplatzbrunnen steht die ehemalige städtische Metzgerei, die um 1900 abgebrochen wurde. Wie das Badhaus hat auch dieses Gebäude Riegelmauern. Stark bis tief ins Mauerwerk hinein brandgeschwärzte ist eine Stelle im Erdgeschoss an der Innenwand gegen die Grosse Kirchgasse hin.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Dieser mächtige viergeschossige Eckbau hiess bereits 1767 „Haus am Egg“. Besitzer war damals der Salzfaktor und Kunsthandwerker Kaspar Josef Widerkehr (1707-1769). Die Muttergottesstatue dürfte sein Werk sein. Möglicherweise könnte die Figur auch von seinem Vater Franz Xaver Widerkehr, (1680-1760) geschaffen worden sein. Da beide längere Zeit gemeinsam künstlerisch aktiv waren, ist eine Werkscheidung oft schwierig. Im „Haus am Egg“ dürfte sich auch die Werkstatt der Mellinger Künstlerdynastie Widerkehr befunden haben. Aus dieser Familie stammten nicht weniger als sieben kunsthandwerklich tätige Mitglieder. Ihr Stammvater war der Grossvater von Kaspar Josef, Johann Adam Widerkehr (1651-1711), der die beiden Johannes-Statuen auf dem Hochaltar in der Pfarrkirche schuf.
Vier Generationen Künstler Widerkehr
Der Mellinger Familie Widerkehr entstammen nicht weniger als sieben Persönlichkeiten in vier Generationen, die künstlerisch tätig waren und ein Teil ihrer Werke wohl in ihrer Werkstatt in diesem Gebäude verwirklichten. Nach heutigem Forschungsstand schufen sie rund 100 Werke. Leider existieren recht viele nicht mehr, sind aber schriftlich belegt. Stammvater war Holzbildhauer Johann Adam (1651-1711), von dem u.a. die beiden Johannesstatuen in der Katholischen Pfarrkirche stammen. Sein Bruder Johann Georg (1647-1724) war ein begnadeter Kunstmaler, der u.a. im Kloster St. Urban und in den Kirchen Niederwil und Gnadental zahlreiche Bilder hinterliess. Er wirkte auch als Schultheiss von Mellingen. Vom künstlerischen Schaffen eines weiteren Bruders, des Malers Johann Balthasar (ca.1665-1730), ist wenig bekannt. Dieser amtete von 1698 bis 1716 zudem als Stadtschreiber von Mellingen. Johann Adams Sohn Franz Xaver (1680-1760) und Johann Adams Enkel Kaspar Josef (1709-1769) waren massgebliche Vertreter des Aargauer Barocks. Oft ist eine Werkscheidung zwischen Vater und Sohn schwierig. Vom Stil her dürfte die Madonna am „Scharf Eck“ eher von Kaspar Josef stammen. Dieser schuf auch die Antoniusfigur in der Antoniuskapelle.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
In mittelalterlichen Urkunden wird das Gebäude vielfach „Gräffenmur“ bezeichnet, d.h. als Stammsitz der Stadtherren, der Grafen von Kyburg. Der Historiker Theodor von Liebenau deutete den Namen „Gräffenmur“ als Gräfinnenmauer und meinte, das Gebäude könnte nach dem 1263 erfolgten Tod Hartmanns V. von Kyburg eine Zeitlang von den Gräfinnen Elisabeth von Chalon, der Witwe Hartmanns, und deren Tochter Anna von Kyburg bewohnt gewesen sein. Aus der Zeit der Stadtgründung stammt ein Teil der reussseitigen Fassade. Das Mauerwerk ist hier bis zu 1,8 m dick. Um 1460/65 erwarb die Stadt die Liegenschaft und baute diese zum Rathaus um. Damals dürften auch die steil ansteigenden Treppengiebel – übrigens die einzigen in der heutigen Altstadt – errichtet worden sein. 1467 schuf der Mellinger Werkmeister Hans Widerkehr die Ratsstube, einer der schönsten spätgotischen Innenräume im Aargau. Diese war im zweiten Obergeschoss eingebaut. Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese verkauft und kann nun im Landesmuseum in Zürich bewundert werden. Neueste Forschungen kommen zum Schluss, dass dieser Raum nicht nur den Räten als Sitzungszimmer, sondern auch den Bürgern als Trinkstube zur Verfügung stand. Zwischen 1528 und 1536 nahm man möglicherweise in Zusammenhang mit den Wirren während der Reformationszeit verschiedene Umbauten vor. Davon zeugt die noch heute sichtbare Jahreszahl 1536 im rechten Teil des gassenseitigen Erdgeschosses. Im linken Teil findet sich ein skulptiertes Stadtwappen mit Schildhalterlöwen (Original heute im Ortsmuseum). Dieses Wappen und die Treppengiebel betonen die einst öffentliche Funktion des Hauses. 1856, als die städtische Verwaltung an den Kirchplatz verlegt wurde, ging der Bau in Privatbesitz über. Ab 1913 baute man das Erdgeschoss zu einem Geschäftslokal um. 2012 begann man das Innere von Rathaus und Brückentor tiefgreifend umzugestalten, nahm wissenschaftliche Untersuchungen vor und richtete darin stilvolle Altstadtwohnungen ein.
Die Ratsstube
Es ist ein Glücksfall, dass der Schöpfer dieser Ratsstube sich in einem der Deckenbalken verewigte:
„ich hans widerke[h]r … WerchkMeister dieser statt / anno domini … [1467] …“. Bekanntlich ist die Ratsstube heute im Landesmuseum in Zürich Bestandteil einer ganzen Reihe von wertvollen historischen Innenräumen. 2005 stellte man bei der Restaurierung des Raums fest, dass von den originalen Wänden nur noch Fragmente bestehen. Wertvoll ist aber die ursprüngliche Eingangstüre mit Mellinger Doppelwappen und die kunstvoll gestaltete Decke. Hier fallen vor allem die reich geschnitzten Mittelbalken mit der Inschrift von Hans Widerkehr auf. Auf der Unterseite des Balkens sind im Mittelteil neben Wellenranken auch Trauben und Weinlaub dargestellt. Diese weisen auf den Schluss des Sinnspruchs hin, den Hans Widerkehr geschnitzt hat: "... der ess der truben ab der wan[d]". Im oberen Teil sehen wir - aus unserer Blickrichtung auf den Kopf gestellt - in einer Rosette einen sogenannten Wildmann, links davon ein Fabeltier und rechts einen Löwen. Im unteren Teil ist ein Hase in einer Rosette abgebildet, links und rechts davon Fabeltiere, eine Art Drachen. © Nationalmuseum Zürich
Hans Widerkehr
Neben der Ratsstube im Rathaus ist die prächtige spätgotische Stube im ersten Obergeschoss von Haus Hauptgasse 3 wohl ebenfalls ein Werk Widerkehrs. Auch die Decke des ehemaligen Refektoriums des Klosters Gnadenthal (heute Museum) dürfte von Widerkehr stammen.
Eine Verwandtschaft zwischen Hans Widerkehr und der Künstlerdynastie der Widerkehr im 17. und 18. Jahrhundert ist nicht nachgewiesen.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Nationalmuseum Zürich, Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Aufgrund von dendrochronologischen Untersuchungen (Bestimmung, in welchem Jahr man die Bauhölzer geschlagen hat) wurde das Brückentor 1527/28 neu errichtet und erfuhr 1548/49 weitere Ausbauten. Es ist davon auszugehen, dass zuvor nur ein hölzerner Wehrgang oberhalb des Tors durchführte.
Torhaus
Bei wissenschaftlichen Untersuchungen wurde 2012 im Geschoss über dem Tor hinter neuerem Täfer und Teilen eines bemerkenswerten Steckborner Kachelofens von 1754 (dieser ist jetzt in einer Wohnung im ehemaligen Rathaus eingebaut) eine wertvolle Innenausstattung aus dem 16. Jahrhundert freigelegt. Besonders kostbar sind die Wandmalereien an der Nordwestwand. Vermutlich wurde der Wappenfries oben an der linken Wandhälfte mit vier eindeutig erkennbaren Wappen kurz nach der Erbauung des Torhauses angebracht, so das Wappen der Familie Schnyder (heute leider unter der modernen Täferung nicht mehr sichtbar). Ein Prunkstück ist aber das rechts auf einer Fläche von 2.75 x 1.15 m aufgemalte „Salomonische Urteil“. Aufgrund der Kleidung der auf dem qualitativ hochwertigen Gemälde sichtbaren Personen ist dieses in die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu datieren. An der gassenseitigen Front findet sich eine spätgotische Säule mit einer eisernen Handfessel, an welcher bei Gerichtsverhandlungen der Angeklagte festgehalten wurde. Gemälde und Handfessel deuten darauf hin, dass hier u.a. Gericht gehalten wurde, weshalb dieser Raum als „Gerichtsstube“ bezeichnet wird. Weiter weist ein eingebauter Tresor aus Muschelkalkstein in der Südostmauer auf eine öffentliche Funktion der „Gerichtsstube“ hin (heute hinter Täfer nicht mehr sichtbar). Hier konnten die aktuellen Archivalien aufbewahrt werden. Im Weiteren führt ein Portal mit der Jahreszahl 1534 direkt ins Rathaus hinüber. Der Türsturz ist mit dem Mellinger Doppelwappen geziert. Offensichtlich wurden damals die zwei Geschosse über dem Tor mit den Räumen des Rathauses verbunden. Vermutlich benutzte man diesen Raum teilweise auch als Ratsstube. An der Gemeindeversammlung im Juni 2014 beschlossen die Stimmbürger, die „Gerichtsstube“ öffentlich zugänglich zu machen, allerdings nur im Rahmen von Führungen und öffentlichen Veranstaltungen.
Aussenansicht
Als 1927/28 die heutige Eisenbrücke gebaut wurde, erweiterte man das Brückentor. Dabei musste die ehemalige Zollstube gegen den „Hirschen“ hin und der Hirschenbrunnen abgebrochen werden. Ca. 1930 entstanden an den Aussenfassaden neue Gemälde: auf der Flussseite links ein Kriegsknecht mit dem Mellinger Wappen zu Füssen, rechts unten das Mellinger Siegel von 1293. Gegen die Hauptgasse hin zierten seit ca. 1650 in frühbarocker Manier links ein Kriegsknecht und über dem Torbogen die Wappen der acht in Mellingen regierenden Orte (ZH, BE, LU, UR, SZ, UW, ZG, GL), darüber das Reichswappen und unten das Mellinger Wappen. Diese stadtseitigen Malereien entfernte man bei der Torerweiterung 1927/28 und reproduzierte den Mellinger Merianstich, links und rechts davon das Mellinger- und das Juliusbanner. Anlässlich der Aussenrenovation 1975 griff man wieder- jedoch in moderner Gestaltung - auf die ehemaligen Wappen der acht regierenden Orte und den Reichsadler in der Mitte zurück, wobei jene von Zürich, Schwyz und Unterwalden nicht ganz den heute gültigen Standeszeichen entsprechen, sondern nach barocker Vorlage gestaltet wurden. So handelt es sich beim zweitäussersten Wappen rechts nicht um das Standeszeichen von Solothurn, sondern um jenes von Unterwalden.
Gerichtsstube mit dem Salomonischen Urteil
Da in Rathäusern auch Gericht gehalten wurde, sind sie häufig mit Szenen der Gerichtsikonographie ausgestattet. Die Darstellung des Salomonischen Urteils gehört neben denjenigen des Jüngsten Gerichtes und der Justitia zu den typischen Programmen, die Ratsbauten als Ort der unbestechlichen Verwaltung und der guten Rechtsprechung ausweisen sollen. Im Torhaus von Mellingen wählte man die Szene des Salomonischen Urteils, die sinnbildlich für eine gerechte Rechtsprechung steht. Diese Geschichte stammt aus dem ersten Buch der Könige (Kapitel 3, Verse 16-28) und erzählt von zwei Frauen, die mit je einem Neugeborenen vor König Salomon traten. Eines der Kleinkinder war tot. Beide Mütter beschuldigten die andere, nachts heimlich das eigene Kind mit dem lebenden der anderen vertauscht zu haben. König Salomon verlangte ein Schwert und entschied, das lebende Kind entzweizuschneiden, um jeder Mutter eine Hälfte zu geben. Die falsche Mutter war damit einverstanden. Die Mutter des lebenden Kindes bat den König jedoch aus mütterlicher Liebe, der anderen das lebende Kind zu überlassen. Der König erkannte so die richtige Mutter und gab ihr das Kind zurück.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Es ist anzunehmen, die Brücke sei bereits beim Bau des befestigten Marktes 1230/40 erstellt worden.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Brücke mehrmals erneuert und mit zusätzlichen Pfeilern aus Stein verstärkt. Die pfeilerlose Holzkonstruktion von 1794 galt laut einer Publikation von Christian von Mechel aus dem Jahr 1803 neben den Flussübergängen von Wettingen und Schaffhausen zu den schönsten Brücken der Schweiz. Da in den 1920er-Jahren der Autoverkehr recht stark zunahm, brachten Belastungsmessungen an den Tag, dass eine neue Brücke am alten Ort oder eine nordöstlich der Stadt verlaufende Umfahrung mit neuer Brücke notwendig werde. Der Kanton plädierte für eine Umfahrung. Doch die Mellinger Gewerbetreibenden und Wirte befürchteten Einbussen ihrer Einkünfte. Deshalb beschloss die Gemeindeversammlung eine neue Brücke am alten Ort erbauen zu lassen. Bereits 1926 errichtete man flussaufwärts eine Notbrücke. Der Verkehr wurde durch die Kleine Kirchgasse, das Reusstörli und über die Notbrücke zur Stetterstrasse geleitet. Erst im Herbst 1927 riss man die Holzbrücke ab und ersetzte diese durch eine Konstruktion aus Eisen und betonierter Fahrbahn. Bereits am 19. August 1928 konnte das von der Firma Conrad Zschokke, Döttingen, geplante und konstruierte Bauwerk feierlich eingeweiht werden.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Neben „Löwen“ und „Krone“ war dies über Jahrhunderte hinweg die dritte Tavernenwirtschaft, in der warme Speisen angeboten und Gäste beherbergt werden durften, im Gegensatz zu den sogenannten Zapfenwirtschaften, wo die Gäste bloss Brot, Wein und Most konsumieren konnten. Berühmtheit erlangte der Gasthof, als am 2. Januar 1528 der Zürcher Reformator Ulrich Zwingli anlässlich seiner Reise an die Berner Disputation hier mit seinem Gefolge zu Mittag ass, wobei es im Gasthaus und auf der Weiterreise nach Lenzburg zu Störmanövern von katholischer Seite kam. Diese Disputation verhalf der Reformation in verschiedenen Orten der Eidgenossenschaft zum Durchbruch, so auch in Mellingen. Laut einem Inventar von 1548 bot der Hirschenwirt neun Gästebetten an. Im Stall hatten acht Pferde Platz. Diese wurden als Wechselpferde für Kutschen oder Vorspannpferde für schwere Güterwagen eingesetzt. Diese Vorspannpferde dienten den Fuhrleuten, um die relativ steilen Strassen gegen Baden und Mägenwil überwinden zu können. Teilweise findet sich im Gebäude noch Bausubstanz aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Besonders bemerkenswert ist das vierteilige Zeilenfenster im nordwestlichen Teil über den ehemaligen Stallungen. 1990 wurde der Betrieb als Gastwirtschaft und Hotel eingestellt. Heute wird das Gebäude nur noch für Gewerbe und Wohnzwecke genutzt.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Der Johannesbrunnen war der letzte der vier Brunnen im Städtchen. An der städtischen Wasserleitung, welche durch die Quelle im Himmelrych gespiesen wurde, standen neben dem Johannesbrunnen der Ibergbrunnen, der Kirchplatzbrunnen und der Hirschenbrunnen (1928 entfernt). Die Statue Johannes‘ des Täufers dürfte aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen. Wer diese geschaffen hat, ist bislang unbekannt. Als einziger Brunnen in der Stadt hat der Johannesbrunnen zwei Tröge. Da in dessen Umgebung viele Ställe standen, ist anzunehmen, dass einer der Tröge vor allem für das Tränken des Viehs bestimmt war. Johannes der Täufer ist der Patron der Pfarrkirche. Im Mittelalter war dies Johannes der Evangelist, in späteren Jahrhunderten der Evangelist und der Täufer gemeinsam und heute ist es Johannes der Täufer allein.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Im Gebäude findet sich teilweise noch Bausubstanz aus dem 16. Jahrhundert. Besonders bemerkenswert ist das spätgotische
Kreuzstockfenster im zweiten Obergeschoss rechts. Diese Fensterform findet sich sonst nur noch am Ehemaligen Rathaus und am Iberg.
Der Drudenstern – im Gegensatz zum sechsstrahligen Davidstern - ist fünfzackig und geometrisch gesehen ein Pentagramm. Dieses Zeichen hat eine vielfältige Bedeutung. Ist es an einem Haus angebracht, gilt es als Schutzsymbol, was für diese einstmals öffentliche Unterkunft auch zutreffend war.
Leider steht kein älteres Foto, auf der die Herberge deutlich abgebildet ist, zur Verfügung (vgl. Bild links in der Galerie unten):
Auf dieser Ansicht der Bruggerstrasse aus der Zeit vor 1910 sehen wir dieses Gebäude auf der linken Seite. Es ist von vorne nach hinten gesehen das dritte Haus. Die nächstfolgenden Gebäude sind mehr oder weniger zurückgesetzt und daher nicht sichtbar.
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Bis ins 19. Jahrhundert transportierte man auf der Reuss grosse Mengen an Gütern, so Salz, Getreide, Metalle und Produkte des Handwerks. Hier bei der Sust konnten die Lastschiffe beladen oder entladen werden. Verwaltet wurde dieser Umschlagplatz vom städtischen Sustmeister, der u.a. Abgaben zuhanden der Stadt einzog. Da hier in Mellingen oft grosse Mengen an Getreide umgeschlagen wurden und man dieses weiter veräusserte, hiess die Sust auch Kaufhaus. Solcher Getreidehandel durfte nach 1712 nur in Städten betrieben werden. Nach einem Brand 1879 ging die Sust im folgenden Jahr in Privathände über. Gegen die Reuss hin konnte, wie auf dem Foto von ca. 1900 zu sehen ist, ein grosses Tor geöffnet werden, damit die Schiffsgüter früher problemlos auf die Kähne verladen werden konnten. Dieses Tor verschwand vermutlich 1910, als das Gebäude seine heutige Form erhielt. Im Ortsmuseum findet man einen 86 x 125 cm grosser Wappenstein mit der Jahreszahl 1600, der auf der Reussseite angebracht war. So wussten die Schiffsleute, wo sie anlegen konnten.
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Ein gleicher Rundturm stand in der Nähe der Reuss. Dies sehen wir beispielsweise auf der Karte von Jos Murer (1566) oder im „Ehrenspiegel des Hauses Österreich“ (ca. 1555). Zwischen diesen beiden Türmen verlief die Stadtmauer. In dieser integriert war das Bruggertor. Diese trutzige Wehranlage gegen Nordwesten hin ist sehr erstaunlich. Der Mittelalterarchäologe Peter Frey kann sich diese Bauten bloss als Machtdemonstration der Kyburger vorstellen. Diese erbauten Mellingen um 1240 als mauerbewehrten Markt. Im Nordwesten der neuen Siedlung sassen aber damals die Habsburger als Konkurrenten im Eigenamt und in Brugg. Der Rundturm an der Reuss wurde vermutlich nach dem 2. Villmergerkrieg 1712 abgebrochen, das Bruggertor 1836. Dass in diesem Turm Hexen gefoltert wurden, ist nicht belegt. Hexenturm wurde er vermutlich erst im 19. Jahrhundert genannt. Auch der gleichnamige Turm in Bremgarten erhielt seinen Namen in dieser Zeit. 1902 wütete im Unterstädtchen eine grosse Feuersbrunst. Neben mehreren Häusern wurde auch das mit Schindeln gedeckte Kegeldach des Hexenturms zerstört. Als Schutz für das stehengebliebene Mauerwerk erhielt der Turm einen Zinnenkranz aus Beton. 1951 wurde wieder das ursprüngliche Kegeldach rekonstruiert und mit Ziegeln gedeckt. Die Turmspitze ziert eine Wetterfahne mit dem ursprünglichen Mellinger Wappen. Zwischen Hexenturm und grabenseitiger Häuserzeile klafft wegen des Brands noch heute eine Lücke. Es bestehen nun Pläne, diese durch einen Neubau zu schliessen.
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Mehrere Jahrhunderte diente die Stadtscheune als Ökonomiegebäude. Es ist dies eines der originellsten Altstadthäuser einer ländlichen Stadt. Die auf zwei Ebenen angebrachten Schiessscharten mit integrierter mittelalterlicher Stadtmauer weisen auf städtische Elemente hin. Gegen die Scheunengasse hin präsentiert sich eine beim Umbau rekonstruierte durchlässige Heustockwand. Dieser Bau mit mächtigem Tennstor deutet auf die ländlich geprägte Struktur der Mellinger Altstadt hin, in welcher früher rund 25 Prozent landwirtschaftlich genutzte Bauten standen. Allerdings ist anzunehmen, dass dieses Gebäude in früheren Jahrhunderten nicht als Viehstall diente. Denn im ersten Obergeschoss finden sich an einer bogenförmigen steinernen Konstruktion Fragmente einer Bemalung. Doch eine frühere Vermutung, es könnten sich dabei um die Reste einer ehemaligen Kapelle oder einer klösterlichen Niederlassung handeln, kann in keiner Weise belegt werden. Archäologische Untersuchungen haben ergeben, dass in der südöstlichen Ecke an der Stadtmauer ein dreigeschossiges spätmittelalterliches Wohnhaus mit bandgefassten Stuben (vermutlich die heutigen Malereireste) stand. Ob die zahlreichen Schiessscharten in der Stadtmauer auf eine ursprünglich militärisch-strategische Bedeutung des Gebäudes hinweisen, muss offengelassen werden. 1985 wollte der Stadtrat das 1948 erworbene Anwesen wieder verkaufen, damit ein Architekt dieses zusammen mit dem Gebäude Scheunengasse 5 zu einem Mehrfamilienhaus umbauen könne. Doch in der Bevölkerung regte sich starker Widerstand, das historisch wertvolle Objekt zu veräussern. An der Gemeindeversammlung wurde das Vorhaben der Behörden abgelehnt. In den 1990er Jahren baute man das Gebäude um und liess nur noch die Aussenmauern stehen. 1996 bezog die Bibliothek die Räume im Erdgeschoss. 1997 konnte in den Obergeschossen das Ortsmuseum eröffnet werden. Im Untergeschoss umfasst das Stadtarchiv Bestände von 1295 bis 1960. Schon vor dem Umbau wurde das Gebäude 1990 unter kantonalen Denkmalschutz gestellt und mit folgenden Worten gewürdigt: „Die holzgezimmerte Mellinger Gemeindescheune birgt an ihrer muralen Aussenfront ein intaktes Stück der mittelalterlichen Stadtmauer, das als einer der wenigen Überreste dieses Berings [= Gesamtheit der Ringmauer] im Nahbereich des Lenzburgertors unbedingt zu erhalten ist. Ausserdem erweist sich die Scheune als origineller kleinstädtischer Holzbau von recht hohem Seltenheitswert".
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Genau 300 Jahre lang – von 1587 bis 1887 – war der Löwen im Besitz der Magistratenfamilie Müller, von welcher mehrere auch als Schultheissen von Mellingen amteten. Deshalb galt der Löwen in dieser Ära und auch später als das bedeutendste Gasthaus in der Stadt. Das imposante Gebäude, dessen Bausubstanz bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht, ist das flächenmässig grösste Gebäude in der Altstadt. Die Haustiefe beträgt 20 m. Anstelle des heutigen Löwensaals befanden sich Pferdestallungen für Wechselpferde für Kutschen und Vorspannpferde für schwere Lastwagen.
Von 1805 bis 1840 war im „Löwen“ das erste Postlokal von Mellingen untergebracht. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war dem Gasthof auch eine Metzgerei mit Schlachthaus angegliedert. 1923 wurde an der Gassenfront anstelle des eisernen Tavernenschilds die mächtige Löwenplastik aus Würenloser Muschelkalkstein, ein Werk des bekannten Künstlers Hans Trudel, angebracht.
1967/68 erhielt der Löwen sein derzeitiges Aussehen. Das Haus Hauptgasse 8, das heute als Eingangshalle und Treppenhaus dient, wurde in den Komplex integriert. Anstelle der Stallungen entstand damals auf der Rückseite mit Beteiligung der Gemeinde ein grosszügiger Saal. Der alte Saal war in einem Obergeschoss unterbracht und musste aus Sicherheitsgründen geschlossen werden.
Hans Trudel
In Mellingen stammt ein einziges Werk von Hans Trudel der vollplastische Löwe an der Fassade des Hotels „Löwen“ aus dem Jahre 1923. Der bedeutende Badener Maler und Bildhauer hatte von 1919 bis 1926 sein Atelier in der Widenmühle in Mellingen. (unterhalb der Frigemo).
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Das Lenzburgertor hiess bis ins 16. Jahrhundert „das mindere Tor“ (d.h. das kleine Tor), im Gegensatz zum „meren Tor“ (d.h. das grosse Tor), welches heute Brückentor genannt wird.
Am 32 Meter hohen Turm wurden immer wieder Umbauten und Renovationen vorgenommen. Beispielsweise nach dem Grossbrand von 1505 lieferte ein Badener Schlosser neue Schlüssel für das Tor. Der ebenfalls von Baden stammende Konrad Bur war längere Zeit mit Maurerarbeiten beschäftigt. Laut einer Metallplatte, die im Turmknopf aufbewahrt wird, wurden 1544 umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen. So erneuerte Bernhard Tratz von Zürich damals das Flachdach. Vermutlich bis 1717 war dieses Dach von einem Zinnenkranz umgeben.
Damals wurde das Mauerwerk des Turms wohl etwa einen Meter angehoben. Über diesen Mauern errichtete man dann ein Pyramidendach. 1845 wurde das verkehrshemmende Lenzburgertor etwas erweitert. 1869 schlug der Blitz in den Turmhelm ein, weshalb dieser fast vollständig rekonstruiert werden musste. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde der Turm immer baufälliger. So löste sich ein Gewichtsstein der Uhr, durchschlug alle Böden des Zeitturms und knallte knapp hinter einem Postauto auf die Strasse. 1949 fiel ein Brett vom Dach in die Gartenwirtschaft des Restaurants „Stadttor“. Damals – also drei Jahre vor der Gesamtrenovation - sah man sich genötigt, wenigstens Dach und Glockentürmchen zu sanieren. Ab 1954 richtete Albert Nüssli (1891-1984) vor allem auf dem 2. und 3. Geschoss des Turmes ein kleines Ortsmuseum ein. Die Exponate wurden 1997 im Museum in der Stadtscheune untergebracht.
Die astronomische Uhr
1953 rekonstruierte die Uhrenfabrik Bär in Sumiswald das in die Jahre gekommene Uhrwerk nach ursprünglicher Vorgabe. Auch das Zifferblatt wurde neugestaltet. Das vermutlich wohl 1544 entstandene Uhrwerk kann noch heute im 5. Geschoss bewundert werden. Vermutlich ist es ein Werk des Winterthurer Uhrmachers Laurenz Liechti.
Was zeigt die astronomische Uhr?
Das heutige Zifferblatt ist in vier Kreise unterteilt:
Im äussersten Kreis die Stundenangaben in römischen Ziffern. Zeiger mit Hand.
---> Nach 8 Uhr oder nach 20 Uhr
Im nächstinneren Kreis die Monatsnamen. Zeiger mit Sonne.
---> Anfangs August
Im nächsten Kreis: siderische Tierkreiszeichen. Zeiger mit Lanze. Innerhalb eines Monats werden alle Zeichen durchlaufen. Ca. 2 ½ Tage pro Zeichen (siehe auch Saatkalender).
---> Stier, Erdzeichen, im Garten sollte man an diesen Wurzeltagen Karotten, Rettich, Zwiebeln und Radieschen säen, sie werden gut gedeihen… sagt man..
Innerster Kreis: Symbole der Wochentage. Zeiger mit Pfeil (vgl. Symbolbild in der Galerie). Sonntag (Sonne) , Montag (Mond) , Dienstag (Mars) , Mittwoch (Merkur) , Donnerstag (Jupiter), Freitag (Venus), Samstag (Saturn)
---> Der Pfeil steht etwas nach dem Merkurzeichen ---> es ist Mittwochmorgen
Auf dem blauen Zifferblatt unter der Dachkante kreist der Minutenzeiger.
--->14 Minuten nach …
In der Mitte eine gut dreiviertel goldene und rechts schwarz eingefärbte Kugel, die sich um die eigene Achse von rechts nach links dreht und so die verschiedenen Mondphasen anzeigt.
--->abnehmender Mond
Ergebnis: Das Foto entstand an einem Mittwochmorgen anfangs August um 8 Uhr 14. Nimmt man alte Saatkalender zu Hilfe, kann man herausfinden, dass der genaue Fototermin am Mittwochmorgen, dem 1. August 2018 um 8 Uhr 14 war.
Die Glocken
Im mit Kupferschindeln geschützten Spitztürmchen hängen zwei unterschiedlich grosse Glocken, hergestellt 1869 in der Glockengiesserei von Moritz Sutermeister, Aarau. Die Glocken dienen nur als Schlagwerk der Turmuhr. Die obere kleine Glocke schlägt die Viertelstunden, das heisst ein-, zwei- oder dreimal. Beim Stundenschlag hören wir viermal die kleine Glocke und darauf die Anzahl der Stunden mit der grossen Glocke.
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Der Zeitturm bildet zusammen mit dem rechts angebauten Haus Hauptgasse 17 eine eindrucksvolle Kulisse gegen Südwesten. Beide Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Das am Turm sichtbare Zifferblatt dürfte 1544 angebracht worden sein, wurde aber im Laufe der Jahrhunderte mehrmals anders gestaltet, letztmals bei der Renovierung des Turms 1952/53. Vermutlich 1717 wurde der Turm um etwa einen Meter erhöht, weshalb die Wasserspeier ihre Funktion verloren.
Ziehbrücke
Vermutlich bis ins 18. Jahrhundert führte über den mit Wasser gefüllten Stadtgraben eine Ziehbrücke, die über Nacht hochgezogen werden konnte. Darauf baute man über den Graben eine Steinbrücke. Anfangs des 19. Jahrhunderts wurde der Stadtgraben ausgetrocknet und die Vertiefung zwischen Zeit- und Hexenturm eingeebnet. Doch erst bei der Restauration und dem Bau einer zweiten Autodurchfahrt rechts des Lenzburgertors entfernte man 1952 die Brücke endgültig.
Torhaus
Möglicherweise diente das mit Schiessscharten versehene Torhaus auch als Waffenkammer. Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts verwendete man das Torhaus als Gefängnis.
Das Gemälde über dem Lenzburgertor
Über dem Tor war bis 1953 ein spätgotisches Gemälde – die Kreuzigung Christi darstellend – zu sehen. Da es in sehr schlechten Zustand war, wurde es durch ein neues dem alten Kunstwerk nachempfundenes Bild ersetzt. Es ist das Werk des bedeutenden Kunstmalers Karl Theodor Huber (1889-1961). Der in verschiedenen Orten der Schweiz wohnende Künstler war in Mellingen heimatberechtigt und bemalte anlässlich der Restaurierung auch die Zifferblätter auf beiden Seiten des Turms und das Mellinger Doppelwappen auf der Stadtseite.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Die Milchzentrale
1891 kaufte Apotheker Josef Robert Iten das Gebäude und richtete dort sein Geschäft ein. 1898 veräusserte er die Liegenschaft an Emil Affentranger, der darin eine Milchhandlung eröffnete. Danach ging das Haus an die „Milchgenossenschaft Mellingen“ über. In ihrer „Milchzentrale“ verkaufte man offene Milch und Milchprodukte aller Art. Auch mit einem Auto wurde Milch in der ganzen Gemeinde verteilt. Anfangs des neuen Jahrhunderts gab man diese Geschäftstätigkeit auf. Darauf führte Susanne Stranieri bis 2017 das Lokal als Lebensmittelladen weiter. 1952/53, als neben dem Zeitturm eine zweite Fahrbahn gebaut wurde, musste die „Milchzentrale“ weichen und gegen rechts ins Gebäude verlegt werden. Fast unbemerkt fügt sich im Südosten ein zum Gebäudekomplex Hauptgasse 17 gehörendes schmales Häuschen mit wesentlich älterer Bausubstanz an. Bemerkenswert ist vor allem das zweitteilige spätgotische Fenster im zweiten Obergeschoss.
Aussenansichten von Rudolf Rahn
Der Zürcher J.R. Rahn war ein bedeutender Kunsthistoriker und wird oft als „Vater der schweizerischen Kunstgeschichte“ bezeichnet. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Autor und Professor war er auch ein begabter Maler und Zeichner.
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Zentralbibliothek Zürich, Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Das Balli-Haus musste wegen Einsturzgefahr mit Stämmen abgestützt werden. Durch die Explosion gingen im Städtchen zahlreiche Fensterscheiben in Brüche. Schwerer beschädigt wurde das Nachbarhaus, heute Gebäude Kleine Kirchgasse 2. Weil man Christian Wassmer nirgends im Haus fand, stiegen Feuerwehrleute mit Leitern aufs Dach, wo sie Balli, mit drei Pistolen bewaffnet, vorfanden. Als dieser seine aussichtslose Lage erkannte, stürzte er sich vor einer grossen Zuschauermenge vom Dach aufs Trottoir, wo er tot liegen blieb. Noch ganze sechs Wochen blieb das schwer beschädigte Haus stehen, weil man sich in der Gemeinde uneinig war, auf wessen Kosten die Liegenschaft abgerissen werden sollte. Schliesslich griff die Aargauer Regierung ein und verfügte aus Sicherheitsgründen den Abriss des Gebäudes. Die Hauptgasse verlor damit eines der markantesten Gebäude mit Giebeldach und Eckstrebepfeiler, sowie wohl Bausubstanz aus dem 16./ 17. Jahrhundert. Seither ist die Einfahrt in die Kleine Kirchgasse so breit.
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Ein weiterer Grund für diese Privilegien mag gewesen sein, dass in den Jahren vor der Stadtrechtserteilung in Mellingen wohl eine teilweise antihabsburgische Stimmung herrschte, weshalb die Landesherren durch die Erteilung des Stadtrechts das nicht ganz linientreue Mellingen fest ins habsburgische Machtgefüge einzubinden versuchten. Möglicherweise wurde in dieser Zeit auch Baden zur Stadt erhoben. Originale ihrer Stadtrechtsbriefe finden sich im Aargau neben Mellingen nur noch in Lenzburg und Aarau.
Sinngemässe Übersetzung der in lateinischer Sprache geschriebenen Urkunde:
"Ich, Albrecht, von Gottes Gnaden Herzog von Österreich und Steyr, Herr von Krain, der Marken und von Pordenone, Graf von Habsburg und Kyburg sowie Landgraf des Elsass, gebe hiermit allen heute und später Lebenden bekannt, dass die Bürger von Mellingen mir in vielfältiger Weise ihre Treue und Ehrerbietung erwiesen haben. Deshalb habe ich beschlossen, um den Mellingern ein Leben in Ruhe und Ehre zu gewährleisten, diesen die gleichen Rechte wie den Bürgern von Winterthur zu schenken. Um dies zu bezeugen, habe ich diese Urkunde schreiben und mit meinem Siegel versehen lassen. Gegeben zu Linz am Vorabend des Festes von Apostel Andreas [29. November] 1296."
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Auf die teilweise mittelalterliche Bausubstanz deuten noch heute die Mauern von beeindruckender Stärke sowie zwei Fenstergewände mit spätgotischer Kehlung hin. Die Hünegg war ursprünglich der Verwaltungssitz (Meierhof) der Herren von Trostberg im Wynental, welche im sogenannten Trostburger Twing die niedere Gerichtsbarkeit innehatten. 1364 ging diese Gerichtsbarkeit an die Stadt Mellingen über. Bereits 1331 erwarb die Mellinger Familie Dachselhofer das Gebäude. Fast zwei Jahrhunderte blieb der schlossähnliche Bau im Besitz dieser Familie. Letzter dieses Geschlechts war Hans Dachselhofer, der sich aber meist Hans von Hünegg (+ ca. 1530) nannte. Er war Oberst im Dienste des Papstes und führte in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in der Hünegg ein florierendes Söldnerwerbezentrum. 1536 wurde die Liegenschaft an Hauptmann Jakob Fuchsberger (1502-1561) aus Rottweil verkauft. Dieser erwarb das Mellinger Bürgerrecht. Im Dienste des französischen Königs nahm er an über 20 Schlachten teil und betrieb in Mellingen ebenfalls ein bedeutendes Söldnerwerbebüro. In einem Krieg gegen die Hugenotten kam er 1561 in der Schlacht bei Dreux ums Leben. 1584 beabsichtigte der Urner Diplomat Walter von Roll in der Hünegg eine Niederlassung des Ritterordens vom Heiligen Stephan zu errichten. Weshalb sich diese Pläne zerschlugen, ist unbekannt. In der Folge war die Hünegg meist im Besitz von verschiedenen Mellinger Bürgern. Wie das Schlösschen in dieser Zeit ausgesehen hat, ersehen wir aus dem Stich von Matthäus Merian von 1642: Der viergeschossige Bau trägt ein mächtiges knapp abgewalmtes Satteldach.
An der Südostseite ist ein Erkertürmchen mit Spitzhelm angebaut und an der Nordwestecke ein zweigeschossiger Latrinenbau. Von der postalischen Vergangenheit des Gebäudes zeugte bis ins 20. Jahrhundert ein hübsches Medaillon an der Decke des Gasthauses. Diese farbenprächtige Stuckarbeit mit Posthorn und Pflanzenornamenten ist heute leider nicht mehr erhalten. 1929 wurde die Hünegg massiv umgebaut und erhielt seine heutige Form. Der östlich gelegene Rosengarten aus dem späten 19. Jahrhundert musste nach 1940 Parkplätzen weichen. Möglicherweise erhielt das Restaurant aufgrund dieses Gartens den Namen „Rosengarten".
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Aargauer Denkmalpflege, Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Von 1856 bis 1897 waren alle Schulräume im Rathaus untergebracht. Nachdem man 1862 auch eine Bezirksschule gründete, wurden die Platzverhältnisse zu eng. Pläne, in der ehemaligen „Metzg“ -heute Gebäude Grosse Kirchgasse 10 und 12 - Schulzimmer einzubauen, zerschlugen sich. Trotz sehr prekärer Finanzlage entschloss man sich, ein neues Schulhaus für rund 90‘000 Franken ausserhalb der Mauern zu errichten. Fast die ganze Summe musste auf dem Darlehensweg aufgenommen werden. Trotz knappen Mitteln richtete man im Schulhaus eine Zentralheizung ein. Obwohl Mellingen noch über keine Wasserversorgung verfügte, entschied man sich bei den WCs für eine Wasserspülung. Diese konnte dann aber erst 1901 in Betrieb genommen werden. Am 24. Oktober 1897 weihte man das neue Schulhaus mit einem grossen Jugendfest ein. Nachher erfuhr das Schulhaus jahrzehntelang nur geringe Änderungen: So erhielt das Schulhaus fliessendes Wasser und in den Schulzimmern installierte man 1914 eine elektrische Beleuchtung. Auch wenn das Schulhaus heute als repräsentabler Bau erscheint, wurde 1955 und später das Äussere des Baus teilweise beeinträchtigt: Die Fenster im Erdgeschoss, die ursprünglich mit einem Stichbogen endeten, begradigte man. Auch die Balkenattrappen unter der Dachuntersicht wurden entfernt. Wenig sensibel war zudem der Anbau eines Windfangs vor dem Eingangsportal. Über weitere Änderungen s. den Text auf der Tafel.
Zusätzliche Schulräume wie Singsaal, Kochschule, Werkraum und Arbeitsschule erhielt Mellingen 1933 mit dem Bau der Turnhalle. Darin untergebracht waren auch Baderäume, wo Bewohner, die kein Badezimmer besassen, am Samstag ein Bad nehmen konnten. 1967 errichtete man das Bezirksschulhaus nebenan. 2003 musste es wegen Platzmangel mit einem Annexbau erweitert werden. 1975/76 konnte der Komplex Oberstufenschulhaus mit Hallenbad und einer Turnhalle in der Kleinen Kreuzzelg und 1985 das Primarschulhaus bezogen werden.
1994 wurde die Turnhalle zu einer Dreifachturnhalle erweitert und im Gebäude noch weitere Klassenzimmer, zwei Werkräume, ein Zimmer für Textiles Werken und verschiedene Gruppenräume ihrer Bestimmung übergeben. Man nannte das Gebäude mit Hallenbad von nun an Mehrzweckgebäude Kleine Kreuzzelg. Im August 2013 wurde die alte Turnhalle an der Bahnhofstrasse abgerissen. 2015 konnte dort das neue Schulhaus mit Doppelturnhalle und weiterem Schulraum eingeweiht werden. Im Oktober 2021 wurde ein weiteres Schulhaus mit 18 Schulräumen in der Kleinen Kreuzzelg in Betrieb genommen.
Text: Rainer Stöckli / Madlen Zimmermann
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Die „Evangelisch-reformierte Genossenschaft für Mellingen und Umgebung“ wurde 1894 gegründet. Bis zum Bau der Kirche wurden die Gottesdienste im Saal des Rathauses abgehalten. Laut Inventar der Denkmalpflege Aargau handelt es sich bei dieser Kirche um einen Heimatstilbau mit ländlich barockisierenden Formen. Das kurze, lediglich drei Fensterachsen zählende Kirchenschiff trägt ein steiles, doppelt geknicktes Dach. Auch das Äussere des 1928/29 erbauten Pfarrhauses ist in gleichem Stil erbaut und bildet zusammen mit der Kirche ein hübsches Ensemble. Im Glockenturm hängen drei Glocken der Firma Rüetschi, Aarau, mit einem Gesamtgewicht von 1.9 Tonnen. Das Innere der tonnengewölbten Saalkirche präsentiert sich nach der Renovation von 2004/05 (unter der Leitung von Architekt Castor Huser, Baden) nahe dem ursprünglichen Aussehen von 1910. Der eingezogene gerundete Chor erhielt einen Anstrich in einem lichten Blau und hebt sich heute stilvoll vom in warmem Weisston gehaltenen Kirchenschiff ab. Ganz neue Wege ging man bei der Gestaltung des Chormobiliars. Anstelle des dominanten Kreuzes in der Mitte und der hölzernen Kanzel im rechten Bereich des Chors entstand nach den Vorgaben Husers eine filigrane Ausstattung mit Abendmahlstisch, Lesetisch, Beistelltisch, Taufelement und Kreuz. In Zusammenhang mit der letzten Renovation realisierte man hinten an der linken Seite des Kirchenschiffs eine in Glas gehaltene Erweiterung des Sakralraums, der aber auch separat genutzt werden kann. Über dem Eingang dieses Annexbaus schuf Stefan Link, Lenzburg, eine symbolische Darstellung des Abendmahls. Aus früherer Zeit erhalten blieb im vorderen Teil des Kirchenschiffs der handgeschmiedete, sternförmige Leuchter, geschaffen 1933 in den Lehrwerkstätten der Stadt Bern. 1957 ersetzte man die Orgel der Firma Goll, Luzern, durch ein neues Instrument der Werkstatt „Orgelbau Genf“. Bereits seit 1949 erstrahlen in den beiden Chorfenstern Glasgemälde zum Gleichnis der klugen und törichten Jungfrauen. Sie wurden nach einem Entwurf von Minna Bühler, Utzenstorf, in der Glasmalwerkstatt von Louis Halter in Bern ausgeführt.
Wie der Chor der Kirche 1910 ausgesehen hat, ist nicht dokumentiert. Bereits 1922 nahm man erste Änderungen vor. In der Mitte dominierte eine mächtige Kanzel aus dunkelgrauem Marmor. In diesem Jahr wurden zudem am Chorbogen die ursprünglichen Malereien des Jugendstils entfernt und fünf runde Sgraffito-Bilder angebracht. Vier davon zeigten die Evangelisten, das fünfte in der Mitte die Taube als Symbol des Heiligen Geistes. Bereits 1949/50 wurde der Chor wieder umgestaltet. Die Marmorkanzel wurde entfernt und rechts durch eine seitlich angebrachte Holzkanzel ersetzt. Am Chorbogen malte man einen Vers aus dem Buch Jesaia. In der Chormitte dominierte ein markantes Kreuz aus Holz. Die Chorfenster zierte man mit Glasgemälden von Minna Bühler. Zeichnung von Otto Hunziker, 1954.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Historisches Museum Baden, Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
Die Vorgängerkapelle stand nicht am Standort des derzeitigen Gotteshauses, sondern möglicherweise im Quartier Kapellenacker. Die heutige Kapelle ist mit einem hübschen Zwiebelturm geschmückt, ursprünglich angefertigt vom Mellinger Zimmermeister Kaspar Anton Grossmann, danach mehrmals repariert bzw. rekonstruiert. In der darunterliegenden Glockenstube hingen zwei Glocken von Peter Ludwig Keiser von Zug. Die kleinere wurde 1899 durch einen Klangkörper der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau ersetzt. Das Gemälde über der Antoniusplastik und die links und rechts auf dem Altaraufbau sitzenden neckischen Puttenfiguren wurden anlässlich der Restauration 1981/83 im Kunsthandel erworben. Das Marienbild auf der linken Seite erstand Pfarrer Richard Bopp in Italien. Es könnte sich um ein Gemälde eines Schülers des bedeutenden Malers Raffael (1483-1520) handeln. Auf der rechten Seite drei Kreuzwegbilder, die Kreuztragung, die Kreuzigung und die Grablegung darstellend.
Die drei Umgestaltungen
Dreimal wurde das Kapelleninnere vor allem im Altarbereich stark umgestaltet. Leider wurde 1865 der Altar, dessen Figurengruppe man zu jener Zeit als allzu überschwänglich empfand, entfernt und durch einen neugotischen Aufbau mit einem Gemälde des Vorarlbergers Franz Bertle ersetzt. Die Antonius-Figur wurde ins Altersheim „verbannt“. Über diese Umgestaltung existiert kein Bilddokument.
1923 kehrte die Plastik wieder in die Kapelle auf einen neubarocken Altar zurück. Die ehemalige polychrome Fassung der Figurengruppe wurde aber mit weisser Farbe überstrichen. Gleichzeitig wurden Chor und Schiff mit einem tief herunterreichenden Tonnengewölbe versehen. Links und rechts des Altars schufen die Einsiedler Künstler A. Payer und F. Wipplinger an den Wänden Plastiken mit Szenen aus dem Leben des Heiligen Antonius. Anlässlich der Restauration von 1981/83 versuchte man das Innere der Kapelle wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Mit Bestandteilen eines Altars aus dem ehemaligen Kloster Werthenstein/LU rekonstruierte man einen Barockaltar, in dessen Mitte wieder die polychrome Antonius-Figur prangt.
Der Friedhof
Laut Heinrich Zumstein fanden aber erst 1788 Beerdigungen auf dem neuen Friedhof statt. Ab 1810 wurde der Friedhof rund um die Pfarrkirche endgültig aufgehoben. Aus früherer Zeit stammt das Steinkreuz von 1669 mitten auf dem Gottesacker. Am Schaft sehen wir die Initialen AM und EH. Gemeint sind der spätere Schultheiss Arbogast Müller (1642-1690) und seine Gattin Elisabeth Honegger (1644-1699), von Bremgarten. Offensichtlich hatte Müller dieses Kreuz zu Ehren seiner mit 25 Jahren bei der Geburt des vierten Kinds verstorbenen Frau anfertigen lassen. Das am Kreuz angebrachte Wappen ist denn auch dasjenige der Honegger von Bremgarten. Der Friedhof wurde 1861, in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts und 1981 erweitert. Damals wurde in subtiler Weise am Rande der Anlage auch ein Friedhofgebäude erstellt.
Das Friedhofgebäude
In diesem Gebäude können die Verstorbenen aufgebahrt werden. Weitere Räume dienen den Seelsorgern und dem Friedhofgärtner.
In der Halle ist die Grabplatte des bedeutenden Mellinger Bildhauers Hans Adam Widerkehr (1651-1711) und seiner Gattin Helena Schindler (+1728) angebracht. Dies kann aufgrund der Initialen HWK und FHS und den entsprechenden Wappen entschlüsselt werden. Die Jahreszahl 1712 deutet auf die Mutter Widerkehrs, Margaritha Stern (1625-1712), hin. Es ist anzunehmen, dass dieses Epitaph von Widerkehrs Sohn Franz Xaver (1680-1760) geschaffen wurde. Links das Wappen der Familie Widerkehr, rechts jenes der Familie Schindler (vgl. zweites Bild von rechts in der Galerie unten).
Die "ionische" Säule
In der Halle ist auch eine Säule mit einem Kapitell in ionischem Stil aufgestellt. Zuerst stand diese im ersten Stock des Rathauses vor der Ratsstube, später im Erdgeschoss beim heutigen Treppenaufgang. Bei der Renovation des Rathauses 1982/83 entfernte man die Säule. 1988 wurde sie von Bildhauer Albert Fischer restauriert und darauf im Friedhofgebäude platziert. Dieses kunstvoll gestaltete Relikt dürfte mit grosser Wahrscheinlichkeit einstmals beim Eingang des Spitals gestanden haben. Das baufällige Gebäude wurde 1840 an den Kronenwirt verkauft, der sein Lokal an der Stelle des heutigen Pfarrhauses betrieb. Doch Anfang der Fünfzigerjahre ging die „Krone“ Konkurs. Darauf kaufte die Gemeinde den ganzen Komplex (Spital und „Krone“) auf und errichtete hier Rat-, Schul- und Pfarrhaus, welche 1856 eingeweiht wurden.
Text: Rainer Stöckli
Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann
Bildauswahl: Madlen Zimmermann
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