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Aufgrund von dendrochronologischen Untersuchungen (Bestimmung, in welchem Jahr man die Bauhölzer geschlagen hat)  wurde das Brückentor 1527/28 neu errichtet und erfuhr 1548/49 weitere Ausbauten. Es ist davon auszugehen, dass zuvor nur ein hölzerner Wehrgang oberhalb des Tors durchführte. 

 

Torhaus

Bei wissenschaftlichen Untersuchungen wurde 2012 im Geschoss über dem Tor hinter neuerem Täfer und Teilen eines bemerkenswerten Steckborner Kachelofens von 1754 (dieser ist jetzt in einer Wohnung im ehemaligen Rathaus eingebaut) eine wertvolle Innenausstattung aus dem 16. Jahrhundert freigelegt. Besonders kostbar sind die Wandmalereien an der Nordwestwand. Vermutlich wurde der Wappenfries oben an der linken Wandhälfte mit vier eindeutig erkennbaren Wappen kurz nach der Erbauung des Torhauses angebracht, so das Wappen der Familie Schnyder (heute leider unter der modernen Täferung nicht mehr sichtbar). Ein Prunkstück ist aber das rechts auf einer Fläche von 2.75 x 1.15 m aufgemalte „Salomonische Urteil“. Aufgrund der Kleidung der auf dem qualitativ hochwertigen Gemälde sichtbaren Personen ist dieses in die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu datieren. An der gassenseitigen Front findet sich eine spätgotische Säule mit einer eisernen Handfessel, an welcher bei Gerichtsverhandlungen der Angeklagte festgehalten wurde. Gemälde und Handfessel deuten darauf hin, dass hier u.a. Gericht gehalten wurde, weshalb dieser Raum als „Gerichtsstube“ bezeichnet wird. Weiter weist ein eingebauter Tresor aus Muschelkalkstein in der Südostmauer auf eine öffentliche Funktion der „Gerichtsstube“ hin  (heute hinter Täfer nicht mehr sichtbar). Hier konnten die aktuellen Archivalien aufbewahrt werden.  Im Weiteren führt ein Portal mit der Jahreszahl 1534 direkt ins Rathaus hinüber. Der Türsturz ist mit dem Mellinger Doppelwappen geziert. Offensichtlich wurden damals die zwei Geschosse über dem Tor mit den Räumen des Rathauses verbunden. Vermutlich benutzte man diesen Raum teilweise auch als Ratsstube. An der Gemeindeversammlung im Juni 2014 beschlossen die Stimmbürger, die „Gerichtsstube“ öffentlich zugänglich zu machen, allerdings nur im Rahmen von Führungen und öffentlichen Veranstaltungen.  

 

Aussenansicht

Als 1927/28 die heutige Eisenbrücke gebaut wurde, erweiterte man das Brückentor. Dabei musste die ehemalige Zollstube gegen den „Hirschen“ hin und der Hirschenbrunnen abgebrochen werden. Ca. 1930 entstanden an den Aussenfassaden neue Gemälde: auf der Flussseite links ein Kriegsknecht mit dem Mellinger Wappen zu Füssen, rechts unten das Mellinger Siegel von 1293. Gegen die Hauptgasse hin zierten seit ca. 1650 in frühbarocker Manier links ein Kriegsknecht und über dem Torbogen die Wappen der acht in Mellingen regierenden Orte (ZH, BE, LU, UR, SZ, UW, ZG, GL), darüber das Reichswappen und unten das Mellinger Wappen. Diese stadtseitigen Malereien entfernte man bei der Torerweiterung 1927/28 und reproduzierte den Mellinger Merianstich, links und rechts davon das Mellinger- und das Juliusbanner. Anlässlich der Aussenrenovation 1975 griff man wieder- jedoch in moderner Gestaltung - auf die ehemaligen Wappen der acht regierenden Orte und den Reichsadler in der Mitte zurück, wobei jene von Zürich, Schwyz und Unterwalden nicht ganz den heute gültigen Standeszeichen entsprechen, sondern nach barocker Vorlage gestaltet wurden. So handelt es sich beim zweitäussersten Wappen rechts nicht um das Standeszeichen von Solothurn, sondern um jenes von Unterwalden.

 

Gerichtsstube mit dem Salomonischen Urteil

 Da in Rathäusern auch Gericht gehalten wurde, sind sie häufig mit Szenen der Gerichtsikonographie ausgestattet. Die Darstellung des Salomonischen Urteils gehört neben denjenigen des Jüngsten Gerichtes und der Justitia zu den typischen Programmen, die Ratsbauten als Ort der unbestechlichen Verwaltung und der guten Rechtsprechung ausweisen sollen. Im Torhaus von Mellingen wählte man die Szene des Salomonischen Urteils, die sinnbildlich für eine gerechte Rechtsprechung steht. Diese Geschichte stammt aus dem ersten Buch der Könige (Kapitel 3, Verse 16-28) und erzählt von zwei Frauen, die mit je einem Neugeborenen vor König Salomon traten. Eines der Kleinkinder war tot. Beide Mütter beschuldigten die andere, nachts heimlich das eigene Kind mit dem lebenden der anderen vertauscht zu haben. König Salomon verlangte ein Schwert und entschied, das lebende Kind entzweizuschneiden, um jeder Mutter eine Hälfte zu geben. Die falsche Mutter war damit einverstanden. Die Mutter des lebenden Kindes bat den König jedoch aus mütterlicher Liebe, der anderen das lebende Kind zu überlassen. Der König erkannte so die richtige Mutter und gab ihr das Kind zurück.

 

 

Text: Rainer Stöckli

Bildrechte: Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann

Bildauswahl: Madlen Zimmermann 

 

 

In mittelalterlichen Urkunden wird das Gebäude vielfach „Gräffenmur“ bezeichnet, d.h. als Stammsitz der Stadtherren, der Grafen von Kyburg. Der Historiker Theodor von Liebenau deutete den Namen „Gräffenmur“ als Gräfinnenmauer und meinte, das Gebäude könnte nach dem 1263 erfolgten Tod Hartmanns V. von Kyburg eine Zeitlang von den Gräfinnen Elisabeth von Chalon, der Witwe Hartmanns, und deren Tochter Anna von Kyburg bewohnt gewesen sein.   Aus der Zeit der Stadtgründung stammt ein Teil der reussseitigen Fassade. Das Mauerwerk ist hier bis zu 1,8 m dick.  Um 1460/65 erwarb die Stadt die Liegenschaft und baute diese zum Rathaus um. Damals dürften auch die steil ansteigenden Treppengiebel – übrigens die einzigen in der heutigen Altstadt – errichtet worden sein. 1467 schuf der Mellinger Werkmeister Hans Widerkehr die Ratsstube, einer der schönsten spätgotischen Innenräume im Aargau. Diese war im zweiten Obergeschoss eingebaut. Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese verkauft und kann nun im Landesmuseum in Zürich bewundert werden. Neueste Forschungen kommen zum Schluss, dass dieser Raum nicht nur den Räten als Sitzungszimmer, sondern auch den Bürgern als Trinkstube zur Verfügung stand. Zwischen 1528 und 1536 nahm man möglicherweise in Zusammenhang mit den Wirren während der Reformationszeit verschiedene Umbauten vor. Davon zeugt die noch heute sichtbare Jahreszahl 1536 im rechten Teil des gassenseitigen Erdgeschosses.  Im linken Teil findet sich ein skulptiertes Stadtwappen mit Schildhalterlöwen (Original heute im Ortsmuseum). Dieses Wappen und die Treppengiebel betonen die einst öffentliche Funktion des Hauses. 1856, als die städtische Verwaltung an den Kirchplatz verlegt wurde, ging der Bau in Privatbesitz über. Ab 1913 baute man das Erdgeschoss zu einem Geschäftslokal um. 2012 begann man das Innere von Rathaus und Brückentor tiefgreifend umzugestalten, nahm wissenschaftliche Untersuchungen vor und richtete darin stilvolle Altstadtwohnungen ein.

 

Die Ratsstube

Es ist ein Glücksfall, dass der Schöpfer dieser Ratsstube sich in einem der Deckenbalken verewigte:

 „ich hans widerke[h]r … WerchkMeister dieser statt / anno domini … [1467] …“. Bekanntlich ist die Ratsstube heute im Landesmuseum in Zürich Bestandteil einer ganzen Reihe von wertvollen historischen Innenräumen. 2005 stellte man bei der Restaurierung des Raums fest, dass von den originalen Wänden nur noch Fragmente bestehen. Wertvoll ist aber die ursprüngliche Eingangstüre mit Mellinger Doppelwappen und die kunstvoll gestaltete Decke. Hier fallen vor allem die reich geschnitzten Mittelbalken mit der Inschrift von Hans Widerkehr auf.  Auf der Unterseite des Balkens sind im Mittelteil neben Wellenranken auch Trauben und Weinlaub dargestellt. Diese weisen auf den Schluss des Sinnspruchs hin, den Hans Widerkehr geschnitzt hat: "... der ess der truben ab der wan[d]".  Im oberen Teil sehen wir - aus unserer Blickrichtung auf den Kopf gestellt - in einer Rosette einen sogenannten Wildmann, links davon ein Fabeltier und rechts einen Löwen. Im unteren Teil ist ein Hase in einer Rosette abgebildet, links und rechts davon Fabeltiere, eine Art Drachen.   © Nationalmuseum Zürich   

 

Hans Widerkehr

Neben der Ratsstube im Rathaus ist die prächtige spätgotische Stube im ersten Obergeschoss von Haus Hauptgasse 3 wohl ebenfalls ein Werk Widerkehrs. Auch die Decke des ehemaligen Refektoriums des Klosters Gnadenthal (heute Museum) dürfte von Widerkehr stammen. 

Eine Verwandtschaft zwischen Hans Widerkehr und der Künstlerdynastie der Widerkehr im 17. und 18. Jahrhundert ist nicht nachgewiesen.

Text: Rainer Stöckli

Bildrechte: Nationalmuseum Zürich, Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann

Bildauswahl: Madlen Zimmermann 

 

Dieser mächtige viergeschossige Eckbau hiess bereits 1767 „Haus am Egg“. Besitzer war damals der Salzfaktor und Kunsthandwerker Kaspar Josef Widerkehr (1707-1769). Die Muttergottesstatue dürfte sein Werk sein. Möglicherweise könnte die Figur auch von seinem Vater Franz Xaver Widerkehr, (1680-1760) geschaffen worden sein. Da beide längere Zeit gemeinsam künstlerisch aktiv waren, ist eine Werkscheidung oft schwierig. Im „Haus am Egg“ dürfte sich auch die Werkstatt der Mellinger Künstlerdynastie Widerkehr befunden haben. Aus dieser Familie stammten nicht weniger als sieben kunsthandwerklich tätige Mitglieder. Ihr Stammvater war der Grossvater von Kaspar Josef, Johann Adam Widerkehr (1651-1711), der die beiden Johannes-Statuen auf dem Hochaltar in der Pfarrkirche schuf.  

 

 

 

Vier Generationen Künstler Widerkehr

Der Mellinger Familie Widerkehr entstammen nicht weniger als sieben Persönlichkeiten in vier Generationen, die künstlerisch tätig waren und ein Teil ihrer Werke wohl in ihrer Werkstatt in diesem Gebäude verwirklichten. Nach heutigem Forschungsstand schufen sie rund 100 Werke. Leider existieren recht viele nicht mehr, sind aber schriftlich belegt. Stammvater war Holzbildhauer Johann Adam (1651-1711), von dem u.a. die beiden Johannesstatuen in der Katholischen Pfarrkirche stammen. Sein Bruder Johann Georg (1647-1724) war ein begnadeter Kunstmaler, der u.a. im Kloster St. Urban und in den Kirchen Niederwil und Gnadental zahlreiche Bilder hinterliess. Er wirkte auch als Schultheiss von Mellingen. Vom künstlerischen Schaffen eines weiteren Bruders,  des Malers Johann Balthasar (ca.1665-1730), ist wenig bekannt. Dieser amtete von 1698 bis 1716 zudem als Stadtschreiber von Mellingen. Johann Adams Sohn Franz Xaver (1680-1760) und Johann Adams Enkel Kaspar Josef (1709-1769) waren massgebliche Vertreter des Aargauer Barocks. Oft ist eine Werkscheidung zwischen Vater und Sohn schwierig. Vom Stil her dürfte die Madonna am „Scharf Eck“ eher von Kaspar Josef stammen. Dieser schuf auch die Antoniusfigur in der Antoniuskapelle.  

 

Text: Rainer Stöckli

Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann

Bildauswahl: Madlen Zimmermann 

 

Der Bader hiess auch Bruchschneider, weil er Leistenbrüche behandelte.  Zeitweise war der Badstube auch eine Färberei angegliedert. 2008 restaurierte man den Bau vollständig. Leider verputzte man das damals an der Aussenwand freigelegte Riegelwerk des Obergeschosses wieder vollständig, obwohl diese Bauweise bereits auf dem Holzschnitt von Johannes Stumpf eindeutig nachgewiesen ist. Im Erdgeschoss stellten die Archäologen eine Stelle fest, wo die Steine des Mauerwerks bis tief ins Innere geschwärzt waren. Möglichweise stand hier das offene Feuer, über welchem der Bader das Badewasser erwärmte. Auch zahlreiche Balken und Wände waren bis in diesem Jahrhundert durch den Rauch des Feuers stark geschwärzt. Nicht umsonst nannte man dieses Gebäude bis ins 20. Jahrhundert das „Schwarze Hus“. Erfreulicherweise sind die brandgeschwärzten Originalbalken in gewissen Räumen noch heute sichtbar.

Auf dem Holzschnitt aus der Stumpfchronik von 1548 ist das freistehende Badhaus eindeutig erkennbar. Links davon hinter dem Kirchplatzbrunnen steht die ehemalige städtische Metzgerei, die um 1900 abgebrochen wurde. Wie das Badhaus hat auch dieses Gebäude Riegelmauern. Stark bis tief ins Mauerwerk hinein brandgeschwärzte ist eine Stelle im Erdgeschoss an der Innenwand gegen die Grosse Kirchgasse hin. 

 

Text: Rainer Stöckli

Bildrechte: Fotoarchiv-Mellingen, Viktor Zimmermann

Bildauswahl: Madlen Zimmermann 

Museum Mellingen im Geschichtsraum Altstadt